„Die Menschen sprechen plötzlich unsere Sprache?!“

Gestern war ich auf einen sehr schönen Mutterkuh-Betrieb. Ich wurde eingeladen, weil der Umgang schon ganz gut klappt, aber die Strategien der Menschen manchmal an ihre Grenzen kommen.

Normalerweise lassen sich die Bullen gut in den Korral locken. Wird es ihnen aber zu gruselig und sie drehen um, dann gibt es keine weitere Möglichkeit, sie entspannt in die massive Umzäunung zu bekommen, weil der Schrot-Eimer uninteressant ist.

Ein anderes Problem auf dem Betrieb ist, dass die ängstlicheren Tier nicht motiviert werden können, in den Fangstand zu gehen.

Zunächst habe ich das Team beim Aussortieren von zehn Färsen aus einer 30-köpfigen Gruppe beobachtet und konnte schon sehen, was gut läuft, teilen, was mir auffällt und einige Tipps geben. Besonders positiv fand ich, wie sich auch die beiden Auszubildenden aktiv einbringen.

Ich habe schon öfter mitbekommen, dass die Chefs vorgeben, was zu tun ist, und die Mitarbeiterinnen sich ziemlich zurückhalten, weil sie Angst haben etwas falsch zu machen (vor allem auch, wenn von außen jemand zuschaut).

Weil sich alle gezeigt haben mit ihren Treibe-Fähigkeiten, konnte ich auch zu allen etwas sagen, was sie verbessern können.

Der Workflow beim Aussortieren war sehr gut. Es ging zügig voran, Tore waren für die Tiere schlüssig und für die Menschen brauchbar angebracht.
Ich habe davon mal ein Foto gemacht:

Die aussortierten Tiere wurden dann verladen und weggebracht und wir besprachen den Aufbau des neu geplanten Korrals. Da gibt’s ein halbrundes Gitter für 800 €. Mal sehen, ob ich den Betriebsleiter überzeugen konnte, auf die etwa 300 € teuren Gitter für die Bud Box umzuschwenken.

Für uns Menschen ist es ja immer ziemlich einfach: hinten gehen die Kühe rein, vorne gehen sie raus. Für Fluchttiere ist es leichter, um die Kurve zu gehen. Kuh-psychologisch macht es also auch Sinn, eine Kurve einzubauen, allerdings eher 180° und in die Richtung, wo die Rinder herkamen.

Bei der Bud Box ist immer wieder faszinierend zu beobachten, wie schlüssig das Hindurchgehen für die Tiere ist. Sie gehen hinein, drehen sich um und wollen zurück gehen – da wurde das Tor aber von den Menschen ruhig geschlossen und der Treibgang geöffnet. Weil sie sowieso in diese Richtung schauen, sehen sie die Öffnung und gehen hinein.

Wenn der Workflow gut ist, muss ich dort gar nicht weiter treiben, sondern sie gehen einfach in den Treibgang hinein.

In Deutschland wird dann meistens an der Länge des Treibgangs oder den Unterteilungsschiebetoren gespart. Das ist total schade, weil der Durchsatz im Fangstand viel größer wäre, wenn immer zwei, drei Tiere auf ihre Behandlung warten. Die Sorge, dass die wartenden Tiere gestresster sind, weil sie die Behandlung des Tieres vor sich mitbekommen, ist unbegründet. Die kurze Enge können die Rinder meist gut aushalten und wenn die Behandlung ruhig abläuft und vor allem das Durchtreiben vorher ein paarmal ohne Behandlung geübt wird, ist das sehr unspektakulär und ohne Angst für die Tiere aushaltbar.

Eine Pause für die Menschen, bevor die letzten Gruppe Rinder geholt wird, bietet sich meistens an. Sonst denken wir Menschen „Gleich Feierabend, jetzt noch schnell die letzten“ und die ängstlichsten, sensibelsten Tiere, die sich bereits die ganze Zeit erfolgreich drücken konnten, werden zu ihrer Unentspanntheit noch gestresst. Diese Tiere werden bei der nächsten Behandlung bzw. beim nächsten Bluten viel ruhiger sein, wenn wir uns etwas mehr Zeit für sie nehmen und vorsichtigere Impulse geben.

Noch vor dem Mittagessen fuhren wir dann zur Bullenherde, aus der zehn Tiere für die anstehende Schlachtung zum Hof transportiert werden sollten.

Die Tiere sammelten sich gut und liefen in Richtung Fangstand. Dann waren alle Menschen gewöhnt, kurz Stoff zu geben und mit einer Litze hinter den Tieren her zum Korral zu rennen. Der Schwung war so groß, dass die halbe Herde direkt auf den Anhänger rauf lief.

Dass sie direkt wieder runterkommen ist der ganz normale Ping-Pong-Effekt: ungefähr mit der gleichen Energie, mit der sie an irgendeinen Zaun getrieben werden, rennen sie auch wieder zurück – auf uns Menschen zu. Deshalb ist es angenehmer für beide Seiten, ruhig in den Korral einzutreiben.

Ich erklärte, dass die Tiere die schon auf dem Anhänger waren und sonst durch Schläge auf den Kopf zum Drinbleiben animiert wurden, lieber wieder runter gehen dürfen, denn wenn sie keine schlechten Erfahrungen gemacht haben auf dem Hänger, gehen sie auch noch ein 2. oder 3. Mal rauf. Oben ist ja nichts schlimmes passiert! So haben wir Menschen auch die Möglichkeit, ängstlichere Tiere mitzuschicken beim nächsten Anlauf oder vor der Gruppe zu positionieren, sodass die Hierarchie-Höheren sie quasi hochtreiben.

Es gab einen Zwischentor auf dem Anhänger, das genutzt werden konnte, sodass die beiden ängstlichen Tiere, die zurückblieben, eigentlich nicht so viel Angst hätten haben müssen (aus unserer menschlichen Sicht) auch noch auf den Hänger zu gehen. Aus deren Sicht blickten sie jedoch vielen gefährlichen, ranghöheren Tieren direkt ins Gesicht und so erforderte es sehr viel Druck, sie zum Reingehen zu veranlassen. Letztlich hatten sie mehr Respekt vor ihren Artgenossen, als vor uns Menschen. Das können wir nur außerhalb so einer Druck-Situation einüben, z.B. indem wir einmal aus dem Koppelfahrzeug aussteigen bei der Kontrolle und alle Tiere ruhig zum Gehen auffordern. Das muss nicht täglich sein! Jede Interaktion hat einen Trainingseffekt.

Nach dem Mittagessen sind wir auf die Färsenweide gefahren. Bei einer vergangenen Herdenaktion wurde mit den Tieren zwei Wochen lang das Einfangen probiert. Der Appetit auf die Lockmittel war nicht groß genug gewesen und nur nach und nach konnte die Umzäunung verkleinert werden.

Als wir kamen sind sie auch direkt bis in die letzte Ecke davon gerannt. Auf dem Rückweg von dieser Ecke zum möglichen Korral, gab ich sehr sehr sanfte Impulse, um die Fluchtdistanz von 50m zu verringern. Die MitarbeiterInnen übten sich in dieser Körpersprache und die jungen Rinder verstanden immer besser, dass wir nicht wirklich gefährlich sind, sondern jetzt zwar keinen Getreideschrot dabei haben, aber plötzlich ihre Sprache sprechen.

Wir beobachteten, welche Färsen unsere direkten und indirekten Impulse schon gut aufnahmen und welche den Kopf hoch hielten und noch sehr aufgeregt waren. Die 400m Strecke liefen wir wirklich im Schneckentempo, aber letztlich dauerte es nur 50min (inklusive Einüben dieser ruhigen Impulse für die Menschen) und nicht 2 Wochen, bis die Gruppe im Fangbereich war. Diesen sicherten wir mit einer Litze als Umzäunung und dann wurde es noch einmal enger.

„Wie können wir sie jetzt sortieren?“ war die Frage und so übten wir, inzwischen mit einer Fluchtdistanz von 3 Metern das Drehen, langsame Starten und Stoppen der Tiere und Teilen der Herde. Dabei bestand die Einzäunung nur aus einer blauen, dünnen Litze ohne Strom.

Es war sehr schön zu beobachten, wie die Färsen versuchten, uns zu verstehen – oft verdutzt wie vorsichtig die Menschen bewegen können und wie leicht die Pause zu erreichen war, nur mit 2-3 Schritten in die gewünschte Richtung der Menschen! Plötzlich sprachen wir ihre Sprache und die Verständigung war viel stressärmer als gewöhnlich.