„Die Menschen sprechen plötzlich unsere Sprache?!“

Stockmanship und die Lehren von Bud Williams

Der Umgang mit Rindern erfordert ein tiefes Verständnis ihrer Kommunikation und Gruppendynamik. Dieser Erfahrungsbericht zeigt, wie Techniken des Stockmanship, inspiriert von Bud Williams, die Arbeit mit einer Herde deutlich erleichtern können. Mit gezielten Methoden lassen sich Herausforderungen im Alltag eines Mutterkuh-Betriebs effektiv bewältigen.

Ein Tag auf einem Mutterkuh-Betrieb

Gestern hatte ich die Gelegenheit, einen sehr gut geführten Mutterkuh-Betrieb zu besuchen. Ich wurde eingeladen, um Tipps zu geben, wie der Umgang mit den Tieren weiter verbessert werden kann. Während vieles schon gut funktionierte, stießen die bestehenden Strategien gelegentlich an ihre Grenzen.

Herausforderungen im Umgang mit den Tieren

Ein wiederkehrendes Problem auf dem Betrieb war, dass sich die Bullen normalerweise gut in den Korral locken ließen. Doch wenn ihnen die Situation zu gruselig wurde und sie umdrehten, war es schwierig, sie entspannt zurück in die Umzäunung zu führen. Der Schrot-Eimer, der normalerweise als Lockmittel dient, verlor dann seinen Reiz. Der Appetit war einfach nicht groß genug.

Ein weiteres Thema war, dass die ängstlicheren Tiere oft nicht motiviert werden konnten, in den Fangstand zu gehen.

Beobachtungen und erste Tipps

Ich begann den Tag damit, das Team beim Aussortieren von zehn Färsen aus einer 30-köpfigen Gruppe zu beobachten. Schon dabei konnte ich erkennen, was gut lief, und gezielte Hinweise geben. Besonders positiv fiel mir auf, wie aktiv sich die beiden Auszubildenden einbrachten. Oft erlebe ich, dass Chefs die Arbeit dominieren und Mitarbeiterinnen sich zurückhalten, aus Angst, Fehler zu machen – vor allem, wenn jemand von außen zuschaut.

Weil sich alle mit ihren Treibe-Fähigkeiten zeigten, konnte ich jedem gezielte Rückmeldungen geben. Der Workflow beim Aussortieren war sehr gut: Die Tiere wurden zügig sortiert, und die Anordnung der Tore war sowohl für die Menschen als auch für die Rinder schüssig.

Ich habe davon mal ein Foto gemacht:

Korralaufbau - Tore machen Sinn im Stockmanship
Korralaufbau – Tore machen Sinn im Stockmanship

Diskussion über Korral-Aufbau

Nach dem Aussortieren der Tiere und deren Verladung sprachen wir über den geplanten Umbau des Korrals. Zur Debatte stand der Einsatz eines halbrunden Gitters für 800 €. Ich schlug vor, stattdessen eine kostengünstigere und effektivere Lösung mit Gittern für die Bud Box nach Bud Williams (€ 300) zu verwenden.

Warum eine Bud Box sinnvoll ist

Die Bud Box hat sich in der Praxis als extrem schlüssig für die Tiere erwiesen. Die Tiere gehen hinein, drehen sich um und wollen zurück. Zu diesem Zeitpunkt schließen die Menschen ruhig das Eingangstor und öffnen den Treibgang. Da die Rinder bereits in diese Richtung blicken, folgen sie der Öffnung fast von selbst.

Ein durchdachter Aufbau spart Zeit und Stress: In Deutschland wird jedoch häufig an der Länge des Treibgangs oder an Unterteilungsschiebetoren gespart. Das ist schade, denn ein gut durchdachter Ablauf steigert den Durchsatz im Fangstand deutlich und verringert den Stress für Mensch und Tier.

Pause einlegen und Druck reduzieren

Bevor die letzten Tiere geholt wurden, empfahl ich eine kurze Pause. Erfahrungsgemäß neigen Menschen dazu, am Ende eines langen Tages in Eile zu geraten („Gleich Feierabend, jetzt noch schnell die letzten“). Diese Eile überträgt sich auf die Tiere, vor allem auf die sensibelsten, die vorher bereits erfolgreich ausgewichen sind. Mit mehr Ruhe und gezielten, vorsichtigen Impulsen lassen sich diese Tiere beim nächsten Mal deutlich entspannter behandeln.

Bullen treiben - entspannt oder mit vielen Menschen und Litze
Bullen treiben – entspannt oder mit vielen Menschen und Litze?!

Umgang mit der Bullenherde

Nach dem Mittagessen ging es zur Bullenherde. Zehn Tiere sollten für die Schlachtung verladen werden. Die Tiere sammelten sich gut und liefen in Richtung Fangstand. Doch statt sie ruhig hineinzutreiben, setzten die Menschen auf Tempo, indem sie mit einer Litze hinter den Tieren herliefen. Der Schwung war so groß, dass die halbe Herde direkt auf den Anhänger lief – und ebenso schnell wieder herunter.

Dass sie direkt wieder runterkommen ist der ganz normale Ping-Pong-Effekt: ungefähr mit der gleichen Energie, mit der sie an irgendeinen Zaun getrieben werden, rennen sie auch wieder zurück – auf uns Menschen zu. Deshalb ist es angenehmer für beide Seiten, ruhig in den Korral einzutreiben.

Ich erklärte, dass die Tiere die schon auf dem Anhänger waren und sonst durch Schläge auf den Kopf zum Drinbleiben animiert wurden, lieber wieder runter gehen dürfen, denn wenn sie keine schlechten Erfahrungen gemacht haben auf dem Hänger, gehen sie auch noch ein 2. oder 3. Mal rauf. Oben ist ja nichts schlimmes passiert! So haben wir Menschen auch die Möglichkeit, ängstlichere Tiere mitzuschicken beim nächsten Anlauf oder vor der Gruppe zu positionieren, sodass die Hierarchie-Höheren sie quasi hochtreiben.

Es gab einen Zwischentor auf dem Anhänger, das genutzt werden konnte, sodass die beiden ängstlichen Tiere, die zurückblieben, eigentlich nicht so viel Angst hätten haben müssen (aus unserer menschlichen Sicht) auch noch auf den Hänger zu gehen. Aus deren Sicht blickten sie jedoch vielen gefährlichen, ranghöheren Tieren direkt ins Gesicht und so erforderte es sehr viel Druck, sie zum Reingehen zu veranlassen. Letztlich hatten sie mehr Respekt vor ihren Artgenossen, als vor uns Menschen. Das können wir nur außerhalb so einer Druck-Situation einüben, z.B. indem wir einmal aus dem Koppelfahrzeug aussteigen bei der Kontrolle und alle Tiere ruhig zum Gehen auffordern. Das muss nicht täglich sein! Jede Interaktion hat einen Trainingseffekt.

Training für sensiblere Tiere

Auch bei den sensibleren Tieren zeigte sich, wie wichtig Training in stressfreien Situationen ist. Zum Beispiel können wir bei der Routinekontrolle aus dem Fahrzeug aussteigen und die Tiere ruhig zum Gehen auffordern. Jede Interaktion hat einen Trainingseffekt, und es muss nicht täglich geübt werden.

Die hibbeligen Färsen?!

Nach dem Mittagessen sind wir auf die Färsenweide gefahren. Bei einer vergangenen Herdenaktion wurde mit den Tieren zwei Wochen lang das Einfangen probiert. Der Appetit auf die Lockmittel war nicht groß genug gewesen und nur nach und nach konnte die Umzäunung verkleinert werden.

Als wir kamen sind sie auch direkt bis in die letzte Ecke davon gerannt. Auf dem Rückweg von dieser Ecke zum möglichen Korral, gab ich sehr sehr sanfte Impulse, um die Fluchtdistanz von 50m zu verringern. Die MitarbeiterInnen übten sich in dieser Körpersprache und die jungen Rinder verstanden immer besser, dass wir nicht wirklich gefährlich sind, sondern jetzt zwar keinen Getreideschrot dabei haben, aber plötzlich ihre Sprache sprechen.

Auf der Färsenweide zeigte sich, wie effektiv sanfte Impulse sein können. Mit Ruhe und klarer Körpersprache verringerten wir die Fluchtdistanz der Tiere von 50 auf 3 Meter. Innerhalb von 50 Minuten gelang es, die Gruppe in den Fangbereich zu führen – eine Aufgabe, die zuvor zwei Wochen gedauert hatte. Auf Instagram habe ich davon ein Video veröffentlicht.

Die Distanz der Färsen wird durch Stockmanship immer geringer und eine entspannte Kommunikation wird möglich
Die Distanz der Färsen wird durch Stockmanship immer geringer und eine entspannte Kommunikation wird möglich

Wir beobachteten, welche Färsen unsere direkten und indirekten Impulse schon gut aufnahmen und welche den Kopf hoch hielten und noch sehr aufgeregt waren. Die 400m Strecke liefen wir wirklich im Schneckentempo, aber letztlich dauerte es nur 50min (inklusive Einüben dieser ruhigen Impulse für die Menschen) und nicht 2 Wochen, bis die Gruppe im Fangbereich war. Diesen sicherten wir mit einer Litze als Umzäunung und dann wurde es noch einmal enger.

„Wie können wir sie jetzt sortieren?“ war die Frage und so übten wir, inzwischen mit einer Fluchtdistanz von 3 Metern das Drehen, langsame Starten und Stoppen der Tiere und Teilen der Herde. Dabei bestand die Einzäunung nur aus einer blauen, dünnen Litze ohne Strom.

Es war sehr schön zu beobachten, wie durch die Anwendung der Stockmanship-Methode die Färsen versuchten, uns zu verstehen – oft verdutzt wie vorsichtig die Menschen bewegen können und wie leicht die Pause zu erreichen war, nur mit 2-3 Schritten in die gewünschte Richtung der Menschen! Plötzlich sprachen wir ihre Sprache und die Verständigung war viel stressärmer als gewöhnlich.

Fazit: Die Sprache der Rinder sprechen

Es war faszinierend zu sehen, wie die Tiere unsere Sprache zu verstehen begannen und immer schneller auf subtile Signale reagierten. Mit Geduld und Respekt können wir die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Tier entscheidend verbessern.

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